Üben im Flow ist eine Methode, die gezielt die Selbstorganisation des Systems „Übender Musiker“ anregt. Die Ordnungsprinzipien dieses Systems liegen in den für das Instrumentalspiel entscheidenden Sinnen, im Tastsinn, im Hören und im Bewegungsgefühl sowie im spielerischen Herangehen an den Notentext.
Der Übeprozess besteht in einer ständigen Kultivierung der durch diese Sinneskanäle fließenden Informationen (höhere Ebene) und nicht wie beim traditionellen Üben im Versuch einer „Beherrschung“ und Mechanisierung der Motorik (untere Ebene). Die gewünschte Endfassung des Stücks entsteht aus einem spannenden von den Sinnen geleiteten entdeckenden Prozess (Emergenz).
Wir können lernen Flowzustände einzuladen
Obwohl Flow sich nicht erzwingen lässt, können wir lernen Flowzustände einzuladen. Es reicht nicht aus, etwas vom Verstand her zu wissen; es bedarf auch einer entsprechenden Verlagerung des Fokus beim Üben. Schritt für Schritt gilt es, neue Werkzeuge zu erarbeiten, womit man Flowzustände initiieren kann. Werkzeuge, die auch in Auftrittssituationen verlässlich zur Verfügung stehen.
5 Wege zum Flow
Die fünf Wege zum Flow sind 1. Der freie Atemfluss beim Musizieren. 2. Die Entspannung, die sich einstellt, wenn wir uns unseres Körpergewichts bewusst werden und dieses an den Boden unter unseren Füssen abgeben. 3. Der Bodenkontakt. Je mehr Gewicht wir an den Boden abgeben, desto mehr Kraft steht uns zur Verfügung: offene, fließende, gesunde elastische Kraft für die Musik. 4. Eine Balancebewegung aus dem Schwerpunkt des Körpers schafft eine Elastizität im Körper, die sich in Klang und Spielgefühl manifestiert. 5. Das Hören führt die Bewegung. Wir haben zunächst Zugriff auf den Klang und können ihn erst verändern, wenn wir ihn so wahrnehmen, wie er im Raum erscheint.
Es gibt über das Hören einen Zugriff auf die Bewegungskoordination des Musikers. Hervorragend Musizieren hat weniger mit technischer Brillanz als vielmehr mit Emotion zu tun. Der Weg zur Emotion geht nur über das Hören.
Das Erlernen eines Musikinstruments gehört zum motorischen Lernen
Das Erlernen eines Musikinstruments gehört zum motorischen Lernen. Dieses System funktioniert nach dem Prinzip trial and error, wie z.B. Fahrrad fahren lernen. Fehlversuche werden neurobiologisch nicht abgespeichert. Sie dienen dazu, den Bewegungsraum zu erkunden. Bei diesem Prozess läuft unterschwellig ein Optimierungsprogramm hin zum gewünschten Ergebnis. Das neurobiologische Belohnungssystem belohnt Näherungen und das Erreichen der gewünschten Fähigkeit mit der Ausschüttung von Dopamin.
Eine gemeisterte Bewegung erzeugt Glücksgefühle
Eine gemeisterte Bewegung erzeugt Glücksgefühle. Dieses System lernt ganz stark über Imitation, Vormachen-Nachmachen. Der Lerninput, d.h., die notwendigen Informationen kommen über die an der Tätigkeit beteiligten Sinneskanäle. Versprachlichte Regeln spielen so gut wie keine Rolle. Deswegen nützen auch Hausaufgabenhefte nichts, wenn das Gelernte im Unterricht nicht gefühlsmäßig verankert wurde. Sprachlicher Input im Unterricht sollte auf das gewünschte Ergebnis hinführen und das sinnliche Erkunden anregen, wie das Tasten, das Hören und das Körpergefühl.
Bilder, die die gesuchte Qualität in einem der beteiligen Sinneskanäle beschreiben, sind dabei außerordentlich wirksam. Sie docken an die Alltagserfahrung von Kindern an und organisieren höchst effizient ganz komplexe Muskelgruppen („Das fühlt sich an wie …“, Töne „leuchten“, „eine Katze streicheln“).
Im Kern geht es … darum für einen komplexen Vorgang ein Körpergefühl zu erwerben
Im Kern geht es beim motorischen Lernen darum, für einen komplexen Vorgang ein (Körper-) Gefühl zu erwerben. Ist dieses neue Gefühl erst einmal verinnerlicht, wird es nie wieder vergessen und kann auch nach Jahren reaktiviert werden.
Die zentrale Aufgabe im Unterricht ist, Schülerinnen dabei zu helfen, für neue Vorgänge ein Gefühl zu evozieren. Dies geht nur über viele variationsreiche Wiederholungen. Kreisübungen, die auf einen bestimmten Aspekt/Sinn fokussiert sind, erzeugen Flow. Üben im Flow sollte auf den Unterricht übertragen also sinnlich-orientiert, bildhaft, entdeckend sein.
Ganz konkret sieht guter Unterricht im Flow so aus:
Ganz konkret sieht ein guter Unterricht im Flow so aus: 1. Ein entspannter, gelöster Zustand, ansonsten wird Stress eingeübt. 2. Gefühle an den entscheidenden Stellen am Instrument beschreiben lassen (z.B. samtenes Gefühl zu Tastenkontakt). 3. Geeignete Bilder mit dem Schüler gemeinsam entwickeln um ganze Muskelgruppen zu organisieren beziehungsweise aus der Alltagserfahrung bekannte Körpergefühle auf das Instrumentalspiel zu übertragen. 4. Für klare eindeutige Sinneserfahrungen sorgen, d.h., leise Stellen erst laut/kräftig spielen oder Bewegungen deutlich größer machen, als sie später sein sollen. 5. Durch Fragen die Aufmerksamkeit des Schülers auf konkrete, sinnlich erfahrbare Aspekte lenken: Wie fühlt sich das an? Hörst du diese Töne klar und deutlich? Wie könnte man diese Stelle verändern? Anstatt nur Anweisungen zu geben.
Instrumentalpädagogik ist die Kunst der sinnvollen Vereinfachung
Instrumentalpädagogik ist die Kunst der sinnvollen Vereinfachung. In kleinen Schritten baut man die Brücke zum Original. Auch sollte der Lehrer nicht immer „Voran-unterrichten“, stattdessen Zeit für Spiel und Spaß einplanen. Z.B. Lieblingsstücke immer wieder gemeinsam spielen und auswendig lernen lassen.
Der Weg in eine neue Zeit des Unterrichtens
Aus meiner 30jährigen Berufserfahrung kann ich sagen, dass dieser Ansatz den Weg in eine neue Zeit des Unterrichtens ebnet. Das lineare Denken ist obsolet geworden. Komplexe Inhalte leicht zu erfassen, wird durch diese Methode bahnbrechend geöffnet. Jeder hat das Potential kreativ zu sein. Sie als Leser haben die Möglichkeit, dass anhand detaillierter Anleitungen in meinem Unterricht sofort selbst auszuprobieren.
Außerdem wird die Frage beantwortet wie es jedem einzelnen gelingen kann, seine ganz persönliche Inspirationsquelle, hier das Klavierspielen, zu entdecken und auszubauen. Üben im Flow erschließt Ihnen neue Wege, die Bandbreite und Fülle ihres schöpferischen Potenzials in Gänze zur Entfaltung zu bringen, und eröffnet eine Entdeckungsreise zu neuen Ufern in der musikpädagogischen Praxis.
Viel Freude dabei!
Ihre Katja Fink
Quellen:
Andreas Burzik Die Kunst des Entstehenlassens in Das Orchester 2/09
Maria Busqué Fünf Wege zum Flow
Fortbildung „Flow im Unterricht“ mit Andreas Burzik 15. Juni 2024, LMA Hamburg